Dienstag, 7. Oktober 2008

Piemont und nicht Großglockner!

19.–27. Juli 2008

Von HEIKE und STEFAN GRAF

1. Tag: Aufgrund der schlechten Wetterprognosen für Österreich wurde kurzerhand umgeplant und wir fuhren zum Zuschauen zur Tour de France in die "Alpes Maritimes". Unseren Start verlegten wir von Rosenheim nach Alba, ein bekanntes Gesicht begrüßte uns und sicherte uns auf dem Weingut eine tolle Garage für unser Auto zu.
Über bekannte VCL-Touren-Straßen fuhren wir nach Ceva. Es ging immer noch genauso "gaach" durch die Weinberge hinauf wie vor 5 Jahren. Doch endlich auf dem Höhenrücken angekommen, konnten wir unsere Blicke rechts und links in die Täler der Weinberge schweifen lassen. Die Sonne ließ noch auf sich warten, doch angesichts der Temperaturen waren wir nicht böse darüber. Ganz diesig konnten wir die hohen Berge schon im Dunst erkennen. Bis zur Abfahrt nach Ceva folgten wir der Route des VCL. Ab dort begannen wir mit unserer Quartiersuche, da wir am nächsten Tag nach "Prato Nevoso" zur ersten Bergankunft der Tour in den Alpen fahren wollten.
Diese gestaltete sich nicht so einfach. In einem sehr schönen Hotel fragte man nur: "Tour de France?" – und schon standen die Räder im Keller. Erst später stellte sich heraus, dass das Hotel komplett belegt war und nur reservierte Zimmer für die Tour hatte. Der Hotelier war jedoch so nett und telefonierte für uns, und so fanden wir ganz christlich Quartier gegenüber der Kirche "Santuario de Vicoforte". Jetzt sitzen wir in kurzer Hose an der Piazza, haben gut gegessen, ein "Barbera d'Asti Superiore Tito" steht auf dem Tisch, und es ist noch mindestens 20 Grad warm, abends um halb zehn. Unsere Entscheidung war richtig – der Großglockner sieht uns im August.
3:22 Std., 71 km, 20,9 km/h, 1115 hm.

2. Tag: Heute kam uns die Tour so nahe, dass wir nicht anders konnten als den Profis zuzuschauen. Nach dem Frühstück besorgten wir uns ein Zimmer, ließen einen Rucksack stehen – zum Glück bestand Heike darauf, die Regenjacken im anderen mitzunehmen. Über Umwege fuhren wir durch das "Valle Corsaglia", die Luft war extrem feucht, wir fühlten uns wie in der "grünen Lunge" Italiens. Zwei steile Hügel trieben uns den Schweiß aus den Poren, und ehe wir uns versahen, hatten wir 30 km mit 1000 hm in den Beinen. Kurz darauf ging es über einen Hügelrücken, und wir tauchten ein in die Faszination der Tour de France. Tausende Tifosi pilgerten zur Bergankunft "Prato Nevoso", wir sahen aber auch viele "Oranjes", Norweger mit angemalten Gesichtern, Belgier, Franzosen, ja sogar Australier konnten wir ausmachen. Wir ließen uns mitreißen und genossen das einmalige Flair. Die Fans, noch verrückter als beim Giro d'Italia und der Tour de Suisse, Wohnmobil an Wohnmobil, Rennrad an Rennrad (obwohl der Fahrer, der drauf saß, oft erst die ersten Kilometer der Saison in den Beinen hatte – so sahen jedenfalls einige aus: der Bauch hing manchmal bis aufs Oberrohr). Wir stiegen bei der 11-km-Marke des Anstiegs quer ein und fuhren Richtung Ziel. Schwere Kilometer lagen vor uns und damit auch vor den Profis. Der Beifall der bereits postierten Tifosi machte es leichter, jedoch fuhr man aufgrund der Anfeuerungsrufe auch immer einen Schritt schneller.

Wir konnten es kaum glauben, wie viele Menschen hier begeistert und bewegt wurden, nur weil ein paar Radfahrer den Berg erklommen. Vier Kilometer vor Ultimo versuchen zwei Carabinieri vergeblich, die Radler aufzuhalten. Wir sollten das Rad stehen lassen und zu Fuß weiter gehen. Doch weder die Carabinieri noch die Absperrungen konnten die Fans aufhalten. 200 Meter mit dem Bike in der Hand wurde gelaufen und dann wieder rauf aufs Rad und weiter gen Ziel. Erst 200 Meter vor diesem war dann endgültig Schluss – hier hieß es wirklich einen Platz suchen oder wieder weiter runter fahren. Wir entschieden uns für die Suche eines Platzes an einem Wohnmobil mit Sat-Antenne, denn hier durften wir mit den begeisterten Italienern die Leiden der Profis am "Col d'Agnel", den sie noch vorher bezwingen mussten, am Fernsehschirm mitverfolgen. Pünktlich um 16.15 Uhr kam als Muntermacher und Anheizer die Werbekarawane den Berg herauf. Jeder versuchte etwas von dem zu ergattern, was aus den Wagen flog. Kaum war Ruhe eingekehrt, kündigten die Helikopter die herannahenden Profis an. Mit großem Polizeiaufgebot bogen die vier Ausreißer um die Kurve unter uns, 12 Minuten Vorsprung am Eingang zum Anstieg sollten reichen.

Doch schon waren sie vorbei, und unsere Blicke richteten sich sofort wieder auf den Bildschirm, um die Favoritengruppe zu verfolgen. Genau an unserer Kurve wurde zur Attacke geblasen, und das gelbe Trikot hing ganz schön weit hinten. In größere und kleinere Gruppen zerstreut, kam das Peleton den Berg herauf. Mit Spannung verfolgten wir den Kampf um das gelbe Trikot, welches heute von den Schultern Evans zu Frank Schleck wechselte. Leider mussten wir sogar noch unsere Regenjacken aus dem Rucksack holen, denn eine schwarze Regenwolke wollte uns heute noch ärgern und tröpfelte uns auf der Abfahrt an. Auf kürzester Route ging es zurück zum Hotel, und wir bereuten es nicht, heute die Tour besucht zu haben. Wir genossen ein sehr gutes Abendessen und freuten uns auf eine ruhige, "gesegnete" Nacht, da wir sie in der Pilgerstätte "Santuario de Vicoforte" verbringen sollten.
4:15 Std., 67,2 km, 16,6 km/h, 1480 hm.


3. Tag: Beim Aufwachen kitzelte uns die Sonne an der Nase. Frisch gestärkt ging es auf unsere Renner und Richtung "Vasco", den Anstieg kannten wir ja schon von gestern. Auf unserer Karte war die weiterführende Straße weiß eingezeichnet, daher gab es ab jetzt auch ein wenig Abenteuer auf unserer Tour. Doch der Weg war wie geschaffen für uns hinein ins Valle Casotto; weiter wollten wir eigentlich in Richtung "Ponte di Nava" – auf der Route des Veloclubs –, doch die stark befahrene SS 28 schreckte uns ab. Wir wollten heute noch ein paar Hügel sehen, dem grünen und sehenswerten Weg zum "Colle San Bernardo“ folgend, machten wir kurz nach unserer Mittagspause mit guter Pasta im Bauch schon wieder ein paar Höhenmeter. Oben angekommen. ging es unspektakulär über die Passhöhe hinein ins nächste grüne Tal, das „Valle di Neva“. Wohin das Auge blickte, nur Grün und Berge um uns herum – doch wie roch es hier nur? Eindeutig nach Meer und Salz. Wenn man zum Horizont blickte, meinte man die Gischt der Wellen in der Ferne zu erkennen, also nichts wie hin und ab in die Abfahrt. Los ging es mit dem festen Glauben, noch Höhenmeter zu sammeln, doch was dann kam, war das Sahnehäubchen der Alpenpassabfahrten. Beste Straße, harmonische Kurven, und ein Gefälle, das auch einen Blick nach rechts und links für die herrliche Landschaft zuließ. Fast nie musste man die Bremse ziehen, einfach laufen lassen und in die Kurven legen – zwanzig Kilometer purer Abfahrtsspaß! Zum ersten Mal hielten wir dann im Ort „Zuccarello“, wo eigentlich jeder über die Umfahrung vorbeirauscht. Ein wunderbar hergerichtetes Bergdorf lud unter den Arkaden zum Verweilen ein, und bei einem Cappuccino entschieden wir: Heute baden wir noch im Ligurischen Meer. Die restlichen 15 km zur Küste waren recht schnell abgespult, wir hofften zwar auf andere Umstände als in Finale Ligure, doch trafen dann ähnliches Strandleben an. Hotels gab es hier fast keine, sehr viele Ferienwohnungen und damit für uns das Problem der Quartiersuche. Doch unsere Radlerengel halfen und verschafften uns ein Privatquartier, und nun sitzen wir hier spätabends um elf Uhr bei 23 Grad und fühlen uns wie "über den Dächern von Nizza". Ein Privatzimmer mit 30 Quadratmeter Dachterrasse für uns allein – ein Traum. Unser Abstecher ins Meer war kurz, aber erfrischend und doch ganz schön warm.
5:20 Std., 105 km, 19,6 km/h, 1735 hm.

4. Tag: Da die Technik versagt, muss ich meinen Bericht nun doch wieder handschriftlich niederlegen und kann ihn nicht direkt in meinen Palm eintippen – regt mich auf, denn umsonst mindestens 300 Gramm mehr mitgeschleppt. Heute Morgen lag eine stürmische Nacht hinter uns, doch der Sturm und das Wetterleuchten am Horizont hatte die Regenwolken vertrieben und die Sonja lachte wieder über uns. Unsere Bikes waren liebevoll mit Abdeckfolie eingepackt im Innenhof gestanden, damit ja nichts nass wird. Kurz nach zehn Uhr ging es nach einem kräftigen Frühstück im Wohnzimmer mit antiken Möbeln rauf auf unsere Renner und endlich raus aus dem Lärm – Gott sei Dank wieder in die Berge. Uns kam erneut die Erkenntnis: "Das Strandleben ist einfach nichts für uns!" Nach zehn Kilometern waren wir wieder ganz allein im Anstieg, konnten die Aussicht genießen, die wunderbaren Blumen riechen, die Grillen zirpen hören. Das alles verpasst man dort unten am Meer, dort gibt es Autolärm, Abgasgestank, den Zug Genua–Rom (?) direkt zehn Meter neben dem Strand, und die Strandurlauber mit 2 mal 2 Meter Liegefläche lagen fast übereinander. Wir radelten weg vom Lärm, weg vom Strand, hinein in die Einsamkeit, in die Ruhe. Von null ging es auf den nächsten 45 Kilometern wieder 1368 hm den "Col de Caprauna" hinauf. Von "Borghetto Santo Spirito" ließ es sich ganz gemütlich an, die Höhenmeter rollten nur langsam auf der Uhr, was aber auch hieß, das schlimme Ende kommt noch. Vorbei an riesigen Gärtnereien, die Rosmarin und Lavendel züchteten, kamen wir flugs wieder in die Gegenden der wildwachsenden Ginsterbüsche – die noch viel, viel besser rochen. Das Meer sahen wie jetzt nicht mehr, ringsum gab es aber wieder richtig hohe Berge, und zum Ende hin mussten wir uns doch noch richtig anstrengen. Mein Magen knurrte, aber weit und breit nichts in Sicht. Kurz vor der Passhöhe durften wir das Meer dann in weiter Ferne doch noch einmal kurz sehen – für heute sollte es nicht das letzte Mal sein. Kurz und knackig war die Abfahrt nach "Ponte di Nava", ab hier bewegten wir uns wieder auf bekannten VCL-Wegen, ließen allerdings, aufgrund der Anfahrt vom Meer her, den Kreisel links liegen und fuhren direkt die 4 km zum "Col de Nava" hoch. Hier oben gab es ein schönes Albergo, in dem nach einigen Hin und Her die selbstgemachte Pasta auch auf der Terrasse serviert wurde.


Danach lag eine elf Kilometer lange Abfahrt mit feinstem Belag und tollen Aussichten vor uns. Erneut bis auf 23 km kamen wir ans Meer heran, doch auf dieser Höhe hieß es einen Haken schlagen, und auf ging's zurück in die Berge. Die Berge – sie zogen uns einfach magisch an. Obwohl wir vor fünf Jahren den Pass zum "Col di Taeglia" auch hinaufgefahren sind, konnten wir uns beide nicht mwhe so genau erinnern. Schmal ging die Straße zwischen den Felsen hinauf, der Blick nach oben sagte eigentlich: dort geht es nicht weiter, Ginsterbüsche wieder links und rechts. Erst weiter oben tauchten wir wieder ein in die "Grüne Lunge" und konnten keine Aussicht mehr genießen. Auf ca. 1000 m dann der Abzweig nach Triora und der Hinweis auf eine schlechte Straße. 5 km mit 500 hm waren auf dieser „Stradale difficile“ noch zu bewältigen, doch wir hatten ja schon mächtig Höhenmeter in den Beinen. Das Gute war, die Ausholzung des Berges erlaubte uns heute, anders als vor fünf Jahren, einen gigantischen Ausblick, bis hinab aufs Mittelmeer. Ein kleiner Übergang, ganz ohne Passschild, und schon lag Triora tief unter uns. Doch weit gefehlt – es ging nicht nur bergab, trotz der Abfahrt lagen noch 300 hm vor uns, denn das "Dorf der Hexen" lag ganz oben am Berg, wie an die Felsen geklebt. Diese letzten 300 hm taten heute richtig weh – und die Frage kam: Hat unser Wunschhotel wohl noch ein Zimmer frei für die Nacht? Madame erinnerte sich noch an die Gruppe Radler aus Augsburg, die nicht aufessen wollten... Wir fanden erneut ein Quartier in dem Hotel, diesmal sogar mit Balkon, das schönste Zimmer hat sie uns gegeben. Das Hotel ist einfach nur empfehlenswert. Heute fanden wir sogar noch Zeit, uns den Ort der Hexen mal genauer anzuschauen und Triora zu Fuß zu erkunden. Das Essen war wieder vom Feinsten, nur etwas anders. Es gab leider keine Pasta, dafür eine herrliche Quiche (Gemüsekuchen), Antipasti, Käse und Mousse au Chocolat und Eis mit Schokosoße. Unser Wirt empfahl seinen sehr guten Hauswein, den wir dann als Folge der Unterhaltung mit unseren Nachbarn, die mit ihren Kindern bis aus Norwegen zur Tour de France angereist waren, mit einem sehr, sehr guten Barolo noch übertreffen konnten. Doch trotz der Ruhe – die Kirchturmuhr konnten wir leider nicht verrücken. Wie jeden Tag vorher in den anderen Quartieren schlug sie Stunde um Stunde...
6:30 Std., 110 km, 16,5 km/h, 2980 hm.

5. Tag: Der Abend war doch ganz schön lang geworden, so dass wir heute erst um halb neun aufstanden und gemütlich auf der Terrasse zum Frühstück in der Sonne saßen. Erst um halb elf wurden unsere Renner geweckt, eigentlich ein wenig spät für unser heutiges Tagespensum. Nach der kurzen Abfahrt nach "Molini di Triora" ging es heute morgen gleich richtig zur Sache. 9,5 km Anstieg zum "Col de Langan" auf 1127 m, das hieß fast 10% Durchschnittssteigung – das war frühmorgens zum Einrollen echt kernig und hat richtig Körner gekostet. Danach mussten wir richtig schauen, kleine Straßen links, dann wieder rechts, hoch droben rüber über den Hügel, alles Höhenmeter, die auf unseren Kärtchen von vor fünf Jahren auch nicht drauf standen. Den Abstecher in die Olivenhaine haben wir jedoch weggelassen und sind richtig abgebogen. Die Grenze nach Frankreich war absolut unspektakulär, ein Haus, eine Fahne, keine Kontrolle – aber endlos Höhenmeter. Von den Palmen am Meer über die Pinien, die uns jetzt begleiteten, ging es wieder hinein in die "grüne Lunge" zum Anstieg zum "Col de Turini". Von Sospel auf 349 m stiefelten wir 24 km Anstieg hoch hinauf auf den "Col de Turini", 1607 m.


Heute wollten wir hier oben Quartier beziehen, wir wussten, dass es mindestens zwei oder drei Hotels auf dem Pass gibt. Hier sollte heute Schluss sein, was schon oft unser Wunsch war. An den Pass konnten wir uns beide überhaupt nicht erinnern – was wir im Nachhinein gar nicht verstehen können. Die felsige Wand war immer an einer Seite mit dem schmalem Teerband versehen, neben uns die Begrenzungsmauern, zwei Steine hoch, also wenn man mit dem Radl dagegenfährt, läuft man auf jeden Fall Gefahr drüberzufallen, da zwei Steine hoch ca. 40 cm hieß. Einmal darüber würde es jedoch kein Halten mehr geben – freier Fall bis zum Talboden. Also lieber nicht ausprobieren. Über uns dann Serpentinen, mit den gleichen Steinen gebaut, aber mindestens vier Meter hoch in den Kurven. Der Pass ist absolut naturbelassen worden, nicht zur Autobahn ausgebaut, fällt ein Stein von oben runter, bleibt er halt auch erst mal liegen. Mitten im Pass dann Halt vor der Bar und die Frage nach einem Fernseher, um die Bergankunft der Tour mitzuerleben, doch vergeblich, einen Fernseher gab es am ganzen Anstieg nicht. Um 18 Uhr liefen wir dann ein ins "Ranch de Col de Turini" und genossen die Berghütte und das Kaminfeuer am Abendessen.
6:10 Std., 100 km, 16,7 km/h, 2800 hm.

6. Tag: Auch heute konnten wir erneut in der Sonne frühstücken, auf 1600 m am "Col de Turini" war es schon angenehm warm. Nachdem wir gestern von unserer Wirtin noch viel über die Franzosen erfahren hatten, wurde es ein sehr netter Abschied. Auch vier Motorradfahrer aus Ludwigsburg und Coburg brachen kurz vor uns auf. Gestern Abend waren wir ausgefragt worden, wohin und wieviel Kilometer und überhaupt – wie kann man solche Pässe mit dem Rad befahren? Heute lag ein kleiner Husarenritt vor uns, über unser Dach der Tour auf 2350 m hinauf. Doch zuerst durften wir eine herrliche Abfahrt vom "Col de Turini" genießen. Kurve um Kurve, der warme Fahrtwind blies uns um die Nase, wieder ein Abfahrtserlebnis pur. Die Straße konnten wir Serpentine um Serpentine unter uns liegen sehen, gegenüber die Drei- und Viertausender-Giganten. Zum Warmfahren ging es Richtung "Col de St. Martin-Vésubie" auf 1500 m hinauf, zuerst noch in angenehmen Steigungsprozenten, was sich allerdings nach oben zu ändern sollte. Im Anstieg überholten uns die vier Mopedfahrer – ein ausgestrecktes Bein sollte wohl den Gruß bedeuten. Die ersten 1000 hm lagen hinter uns.


Oben noch ein kurzes Pass-Bussi, und schon ging es auf eine ellenlange, 15 Kilometer lange wunderschöne Abfahrt. Doch was war das denn? Schlagartig veränderten sich die Kurveneigenschaften meines Rades und ich musste feststellen: ich hatte einen Plattfuß. Zum Glück war mein Liebling war nicht weit und das Malheur schnell behoben. Erneut waren wir bis auf ca. 40 km am Meer vor Nizza, bis wir den Schlenker machten und uns zwischen drei Passauffahrten entscheiden mussten. Es ging zum "Col de la Bonnette" (2808 m), zum "Col de la Cayolle" (2326 m) und dem "Col de Lombarda" (2350 m). Zum Glück gab es den Blasius heute direkt von hinten, von der anderen Seite her hätten wir so richtig leiden müssen. In den 19 Kilometern bis Isola unterlagen wir oft einer optischen Täuschung: Das Auge sagte uns ganz klar, wir fahren bergab, doch der Tacho zeigte uns was ganz anderes: Höhenmeter um Höhenmeter ging es bergauf. In Isola entschieden wir uns natürlich für den "Col de Lombarda" – wir mussten ja wieder zu unserem Auto. Der Pass wird unten aus dem Ort heraus sofort steil und zeigt einem gleich mal die Zähne.
Auch die Sonne brannte nun unbarmherzig hernieder. Obwohl der Kopf einem sagte: "Ich kann nicht mehr!" nimmt man doch irgendwo die Kraft für die nächste Umdrehung her. Mitten im Anstieg, kurz nach einer Kurve: "Was steht denn hier auf der Straße rum?"

Nach dem langsamen Näherkommen und durch den Zoom meiner Kamera gesehen – die ganz klare Antwort: eine Gams. Diese ließ sich überhaupt nicht stören, vielleicht schmeckte ihr der weggeworfene Energieriegel so gut. Erst das nachfolgende Auto vertrieb sie, und sie floh in großen Sätzen den Berg hinauf. Bis Isola 2000 bestritten Stefan und ich den Weg gemeinsam und machten in der bekannten Bar eine kurze Colapause, danach noch die restlichen vier knackigen Kilometer bis zur Passhöhe, auf bestens präparierten Straßen für die "Tour 2008", welche zwei Tage vor uns über den Berg rollte. An der Passhöhe ging es zurück nach Italien – und schon war die Straße schlecht. Das Teerband lief harmonisch durch die Almwiesen auf über 2000 m, bevor es sich mächtig zu Tal stürzte. Zwei Meter breit ist die Abfahrt hier. Nach 24 schnellen Abfahrtskilometern mussten wir allerdings Platz machen. Eine große Kuhherde mit mindestens hundert Kühen sah durchaus nicht ein, für uns zwei Radler zur Seite zu gehen. Also warteten lieber wir, die Kühe waren eindeutig größer wie wir.
In Delmonte fanden wir Quartier und hofften auf eine ruhige Nacht.
6:45 Std., 130 km, 19,6 km/h, 2900 hm

7. Tag: Wieder stand ein Kirchturm in unmittelbarer Nähe und – anders als in Deutschland – läuten die Glocken hier auch jede nächtliche Stunde. Trotzdem haben wir recht gut geschlafen und sind früh für unsere letzte Tour unterwegs. Hinaus aus dem "Valle de Stura" ging es von 780 m auf 263 m in rasantem Tritt voran. Heute konnten wir unsere gestressten Glieder ein wenig ausfahren. Wir verließen die kargen und bizarren hohen Seealpen, um in die lieblichen Weinberge einzutauchen und tauschten die Kühle von 2350 Meereshöhe mit der warmen Luft, die sanft durch die Weinberge strich. Die Weinberge um Alba herum immer vor Augen, spulten wir die ersten 60 km in 2 Stunden ab. Doch so sollte es nicht bleiben; in Carru machten wir Mittag, denn nun ging es hinauf in die Weinberge.

Auf der Karte nicht spektakulär anzuschauen, doch jeder Höhenmeter tat heute weh. Auf und nieder, immer wieder – wie war das doch gleich am ersten Tag? In Dogliani auf einmal das erste wahrgenommene Radgeschäft am Straßenrand. Obwohl er kein Deutsch und wir kein Italienisch sprachen, klappte die Verständigung bestens. Über Shimano zu Camp und sogar über die Gewichtsklassen wurde mit Händen und Füßen diskutiert. Weiter lief es nach "Monteforte d'Alba", und wir fuhren auf den nächsten Höhenrücken. Man glaubt an jeder Kurve, jetzt ist man oben, doch nein, schon geht es wieder um die nächste Kurve rum und weiter hinein in die Weinberge. Auch Haselnusssträucher sieht man hier als ganze Kolonien angebaut stehen. Unser Quartier B & B fanden wir auf Anhieb, schon vom Höhenzug aus sahen wir unser Auto tief unter uns stehen. Zum abschließenden Abendessen bekamen wir von unserer Wirtin einen guten Tipp und gingen in die Trattoria "Nelle Vigne" in Diano d'Alba. Es gab fünf Antipasti, danach wäre eigentlich ohne unsere Tour Schluss gewesen, aber wir hatten noch Appetit (keinen Hunger!). Selbstgemachte Taglierini mit Bolognese und Rosmarin kamen als nächstes, bevor mit einem speziellen Nusskuchen (typisch für die Region) und für Heike Halbgefrorenes mit Mandeln der krönende Abschluss war. Jetzt sitzen wir auf dem Weingut unter der Pergola, probieren einen "Dolcetto d'Alba" und einen "Nebbiolo d'Alba" und schwelgen in Erinnerungen von unserer Tour.
5:00 Std., 120 km, 23,8 km/h, 1090 hm.

8. Tag: Nach einem erholsamen Schlaf und dem Frühstück mit einem Ausblick über die Weinberge von Alba hieß es Abschied nehmen. Doch so schnell wird das Piemont uns nicht los! Wir sind ja hier an der Wiege des Weines, nicht weit von Barolo und Barbaresco entfernt. Auf einen Tipp unserer Wirtin suchten wir das Weingut "Sordo", verfuhren uns jedoch und fanden ein kleines unbekanntes Gutshaus. Eigentlich hatten sie schon Ferien, doch stolz wurde uns der Weinkeller und alles Typische für die Herstellung präsentiert. Natürlich haben wir eingekauft.

Danach suchten wir weiter nach "Sordo", und das hat sich gelohnt. Auch hier wurde uns das ganze Gut gezeigt, die Keller, die Lagerung, der Verkostungskeller. Von "Dolcetto" über "Nebbiolo" ging es hin bis zum "Barolo". Für uns zwei Hansel hat die Chefin eine Weinprobe gemacht, und wir haben gut eingekauft. Ein Traum, die einzelnen Weinkategorien und Ausbaustufen kennenzulernen. Wir haben – trotzdem keiner von uns beiden Italienisch spricht – doch irgendwie alles verstanden und erlebt. Danach fuhren wir nach Alba und genossen den Nachmittag bei Cappuccino und Pizza. Alba ist einen Besuch wert und sollte bei einer Tour nicht fehlen. Auf dem Heimweg musste dann die Einkehr in Lindau mit der "Alten Schule" als Abschluss gefunden werden, und eine wunderbare Woche Urlaub lag schon wieder hinter uns.

Auch nach dem zweiten Mal müssen wir sagen, hier gefällt es uns. Das Piemont und Ligurien hat uns nicht das letzte Mal gesehen... Wir kommen wieder.

1 Kommentar:

Anonym hat gesagt…

Tolle Sache-werde die Region auch bals besuchen. Gruß Rainer